Hochseefischer Welt
See-Episoden anderer Art
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90 - und noch kein bisschen leise GüMo AKEN im Einsatz für die Insel Hiddensee Von Dr. Peer Schmidt-Walther Selbst auf youtube ist sie schon ein Star. Immer wenn Kapitän Manfred Volz den 300 PS-Diesel, ein Schwergewicht von 8,4 Tonnen, startet oder umsteuert, gibt es Fans, die den satten Buller-Sound per Handy aufnehmen. „Mega…!“ können sie dann nur noch stöhnen und die Augen verdrehen wie andere bei Dampflok-, Motorrad- oder Flugzeug-Geräuschen. Als Schiffsführer des einzigen in Stralsund registrierten Gütermotorschiffes – abgekürzt nur GMS oder GüMo – ist Volz da nüchterner. Seit 1961 versieht die gepflegte Maschine weitgehend störungsfrei ihren Dienst und verbraucht gerade mal 35 Liter Diesel pro Stunde. „Etwa so viel wie ein LKW“, rechnet er vor, „wir sind zwar langsamer, aber können neunzehn mal so viel transportieren“.
Landeklappe für „Unternehmen Seelöwe“ An diesem Herbstmorgen sind es 400 Tonnen Baustoffe, Sand und Split, die vom Stralsunder Südhafen zum Hafen Vitte auf Hiddensee geschafft werden müssen. Eine Drei-Stunden- oder 18 Seemeilen-Reise. MS AKEN fährt seit 2012 diese Route, um Massengut auf die autofreie Insel zu bringen sowie Schrott, Schutt und Müll von dort abzuholen. „Bei 20 Fuhren pro Jahr rechnet sich das“, meint Nils Gottschalk von der Firma Hiddenseer Logistik GmbH. Gemeinsam mit Torsten Müller, dem Inhaber der Schiffsmaklerei TM-Shipping, betreibt er die betagte Schiffsdame, die auf eine bewegte Geschichte zurückblicken kann. 1928 wurde sie, wie das Schiffsattest zweifelsfrei ausweist, im niederländischen Amsterdam als JOSEPHINA SPEER gebaut, und zwar als solider Schleppkahn aus acht Millimeter dickem Stahlblech. Im Zweiten Weltkrieg wurde er beschlagnahmt und umgebaut. Das Vorschiff erhielt eine Landeklappe. Fünf Panzer sollten in dem Landungsprahm über den Ärmelkanal nach England gebracht werden. „Unternehmen Seelöwe“ wurde der Invasionsplan genannt, der zum Glück dank der Landung der Alliierten 1944 in der Normandie scheiterte. Das Kriegsende überstand das Schiff im Berliner Westhafen. Damit war das Leben des Kahns gerettet. JOSEFPHINA SPEER wurde schließlich von der sowjetischen Besatzungszone übernommen, die sie in ihre neu entstandene Binnenschiffsflotte einreihte und „GD 413“ nannte. Mit Reparationsgut beladen steuerte sie mehrmals den Hafen Stettin an, von wo die Ladung per Seeschiff in die Sowjetunion ging. Lehrschiff und „West-Stempel“ 1947 übernahm Robert Loch aus Aken an der Elbe den Kahn als Schiffsführer. Unter seiner Regie wurde „GD 413“ in ein ziviles Frachtschiff zurückgebaut ohne Betonboden, Klappe und mit neuem Bug und Namen: „DSU 528“, dem Kürzel des neuen Eigentümers Deutsche Schiffsbetriebs- und Umschlaggesellschaft. „DSU 413“ erhielt fortan die höchste Klasse für Bodden, Haff und Flüsse. Heute darf MS AKEN sogar die Zone 2 befahren, also bis zu einem Küstenabstand von zwei Seemeilen. 1960 wurde sie in Aken zum Motorschiff umgebaut, in die Flotte des VEB Deutsche Binnenreederei Berlin/DDR eingereiht und nach Fertigstellung 1961 in AKEN umbenannt mit Heimathafen Stralsund. Den Namen trug bis dahin der Seitenrad-Schleppdampfer AKEN, der verschrottet wurde. 1981 wurde auf der Elbe eine Stückgutlinie eingerichtet, die Sohn Rudolf Loch befuhr und dabei auch Lehrlinge ausbildete, was der AKEN den Titel „Lehrschiff“ einbrachte. Als schließlich Großkessel von Dresden nach Hennigsdorf befördert werden sollten, brauchte die Besatzung „West-Stempel“ für die Fahrt durch West-Berlin. Dann wurde allerdings die Stammbesatzung durch „linientreue“ Kollegen ersetzt. Stolz auf Pflegezustand Mit dem Fall der Mauer standen auch der AKEN die europäischen Wasserstraßen offen. Doch 1991 war die Binnenreederei am Ende. AKEN wurde wie viele andere Schiffe im Baggerloch von Rogätz bei Magdeburg aufgelegt. Bis sie der Wolgaster Schiffer Horst Dudeck 1992 entdeckte und kaufte. Sein Schwiegersohn Manfred Volz übernahm dann die Schiffsführung über den nächsten Besitzerwechsel 2012 hinaus. Er wird unterstützt von Thomas Berger, der als Steuermann ohne Patent und Bootsmann angemustert hat. Der gelernte Maler und Lackierer ist stolz auf den guten Pflegezustand „seines“ Schiffes, das erst wieder 2021 zur Revision, dem Schiffs-TÜV, muss. Manfred Volz sorgte vorher schon für ein neues Steuerhaus und moderne technische Ausrüstung samt Inneneinrichtung der Kabinen im Vor- und Achterschiff. „Nach Feierabend macht jeder seins“, erklärt Volz, „denn Thomas hat doch ganz andere Interessen als ich“. In Vitte zieht das Anlegemanöver im kleinen Fischereihafen Touristen an, als sich der Sound des bullernden Sechs-Zylinders an der Kaimauer bricht und reflektiert wird. Sogar NDR-Meteorologe Stefan Kreibohm lässt sich das Spektakel nicht entgehen und filmt es als Hintergrund für den „Nordmagazin“-Wetterbericht. Bagger und LKW stehen schon bereit. Thomas Berger schiebt die Luken auf und bald packt der Greifer zu. Nach fünf Stunden, inklusive Mittagspause, ist der Laderaum wieder blank gefegt und es kann abgelegt werden zur Heimreise nach Stralsund, wo neue Ladung bereits wartet. „Stralsund traffic“ wünscht über Funk „gute Fahrt“, Manfred Volz im Gegenzug „gute Wache!“. Infos: MS („GüMo“) AKEN; Bauwerft: Amsterdam, Niederlande als Schleppkahn; Kriegseinsatz als umgebauter Landprahm für „Unternehmen Seelöwe“/Invasion Englands; Kriegsende im Westhafen Berlin; 1947 Rückbau zum Frachtkahn; 1960: Umbau zum Motorschiff; Länge: 50,55 m; Breite: 6,61 m; Tiefgang (max.): 2,15 m; Ladung: 466 t; Hauptmaschine: SKL 6 NVD 360; PS: 300; Geschwindigkeit (max.): 8 kn; Heimathafen: Stralsund, Registerhafen: Vitte; Eigner: Torsten Müller/TM-Shipping, Nils Gottschalk Hiddenseer Logistik GmbH; Flagge: Deutschland.