Hochseefischer Welt
See-Episoden anderer Art
Vom Hochseefischer zum Seelotsen Vom Hochseefischer zum Seelotsen
Mit DDR-„Traumschiff“ exklusiv auf Nordlicht-Kurs Ungewöhnliche Frühjahrskreuzfahrt ins winterliche Norwegen Von Peer Schmidt-Walther
Die ehemalige „Stockholm“ ex „Völkerfreundschaft“ ex „Athena“ ex „Azores“ und jetzige „Astoria“ ist mit ihren 72 Jahren der älteste noch in Fahrt befindliche Transatlantik-Liner der Welt und startete ab 2014 eine weitere viel beachtete Karriere als Kreuzfahrtschiff. Die vermummten Shiplover an Land frösteln und die Weser vor Bremerhaven bäumt sich unter einem steifen Nordwest zu braunen Wellen auf. Ungewöhnlich die Jahreszeit in den hohen Norden. Alle anderen Kreuzfahrtschiffe tummelten sich in wohlig-warmen südlichen Gewässern. „Das kann man immer haben“, sagte ein Gast, „aber dieser Törn ist schon was Besonderes!“ Der Prospekt warb gezielt mit der „besten Reisezeit für Nordlichtbeobachtungen“. Rund 200 Fans aus ganz Europa sind dem Lockruf zu dieser nächtlichen Himmelserscheinung gefolgt. Auch hat ihnen die Werbung nicht verheimlicht, dass es „nördlich des Polarkreises noch richtig winterlich ist“, während „in Deutschland schon der Frühling Einzug gehalten“ hat. Kreuzfahrtdirektor und Kapitän, Blick von der Steuerbord Brückennock die Herren des Schiffes Polarkreis unspektakulär Dem ist nicht ganz so, als der äußerst stabile 16.000-Tonner – immerhin versenkte er 1956 die Andrea Doria“ - nach einem stürmischen Nordsee-Tag, den er in erstaunlicher Ruhelage abgeritten hat, den ersten Hafen ansteuerte: die alte Hansestadt Bergen. Die Passagiere staunten nicht schlecht, als sie am nächsten Morgen ihren Verdauungsrundgang ums Bootsdeck antreten wollten: Dichtes Schneetreiben hüllte sie ein und sorgt für kleine Verwehungen. Der Winter hat sie voll im Griff. „Den hatten wir in Deutschland ja dieses Jahr nicht“, zeigt sich ein rotgesichtiger Gast begeistert, „genau so hab ich mir das vorgestellt!“ Bei gefühlten minus zehn Grad stemmte er sich wieder gegen die vom Wind waagerecht heran geblasene weiße Pracht. An Back- und Steuerbord glitten schemenhaft verschneite Berge und Inseln vorbei. Am nächsten Morgen überquerte das Schiff noch völlig unspektakulär zur Schlafenszeit den Polarkreis. Das Taufzeremoniell mit Neptun und Thetis samt Gefolge wurde vormittags im Vestfjord nachgeholt und per Urkunde bestätigt. Mit Traumblick auf die sonnenbestrahlten schneebedeckten Lofoten. „Fast wie Spitzbergen“, meinte ein erfahrener Arktis-Reisender aus Erfurt. Voller Vorfreude Er kannte das Schiff noch als DDR-„Traumschiff“ des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes FDGB. Als „verdienter Werktätiger“ sei er auf der damaligen „Völkerfreundschaft“ mitgefahren, wobei der aus dem Fernsehen bekannte Rostocker Kapitän Gerd Peters das Kommando führte. Eine Dresdnerin hatte sogar eine Getränkekarte von 1975 mitgebracht. „Da kostete ein Glas ´Hafenbräu` ganze 58 Pfennige oder eine Karaffe ´Goldtröpfchen` 2 Mark 46“, las sie vor und schob in bestem Sächsisch gleich nach: „So schlecht ging´s uns ooch nu wieder nich in da DDR, mir hatten ja alles, was ma zum Läben brauchte“. Auf der Speisekarte fanden sich „Rostocker Heidesuppe“, „Karlsbader Schnitte“ oder „Eiersalat mit Schinkenjulienne“. Wobei Kartoffeln und Gemüse als Beilage nachbestellt werden konnten. Und Schonkost gab es „nur auf ärztliche Anordnung: Heilbuttschnitte gedämpft mit Spargelspitzen und Risotto“. Auch der bekannte DDR-Filmschauspieler und Thälmann-Darsteller Günter Simon ließ sich 1962 so an Bord des Ein-Klassenschiffs verwöhnen. Allerdings ohne Landgang in Norwegen. Die ex-„Völkerfreundschaft“ war das einzige Schiff, das dieses Schauspiel aus Sternenstaub und Sonnensturm von einem deutschen Hafen aus anbot. Eine Tischnachbarin an Bord war voller Vorfreude: „Wenn ich das sehe, falle ich bestimmt in Ohnmacht“. Doch dann startete sie doch noch, die ersehnte Lichter-Show: bei klarem Nachthimmel einige Seemeilen südlich des Polarkreises. Dafür aber gleich stundenlang und intensiv grün. Alle waren, trotz Schlafenszeit, begeistert und vollauf zufrieden. „Jetzt fehlt nur noch die Mitternachtssonne in unserer Sammlung“, bemerkte ein Gast. In Gestalt des Hurtigruten-Schiffes „Midnatsol“ rauscht sie vorbei. „Dieses Sommerschauspiel haben wir schon gebucht“, warf jemand ein, „aber wir träumen schon jetzt davon“. In einem jedoch waren sich die „Ehemaligen“ alle einig: „Ihr“ Schiff von einst ist nicht mehr wiederzuerkennen, „aber wir halten ihm die Treue, in guten wie in schlechten Zeiten“.
Das Schiff: Baujahr: 1948 als „Stockholm“, Götaverken AB Göteborg/Schweden; nach Kollision mit MS „Andrea Doria“ 1956 Verkauf an die DDR (1959); Umbenennung in „Völkerfreundschaft“, fuhr für den FDGB bis 1985; 1985 Jahre aufgelegt, dann ab 1986 Asylbewerberunkunft in Oslo; Umbau 1994 auf der Werft Cantieri Varco Chiappella, Genua/Italien (Architekt Beppe de Iori) zum Kreuzfahrtschiff; in den folgenden Jahren mit wechselnden Namen für verschiedene Reedereien, u.a. als „Athena“ für Neckermann Seereisen und Phoenix Reisen; vollständiger Umbau: 2004; Renovierung: 2011 und 2013, zuletzt in Marseille; Eigner: Island Cruises, Funchal/Madeira; Bereederung: Portuscale Cruises; Typ: Passagierschiff, Klassifikation: Rinave; IMO Nr.: 5383304; Rufzeichen: CQRV; Flagge: Portugal; Heimathafen: Funchal/Madeira. Größe: 16.144 BRZ; Light Ship (Schiffsgewicht): 11.873 t; Länge: 160,07 m, Breite: 21,03 m; Tiefgang: 7,60 m; Airdraft (Höhe über Wasserlinie): 33 m; Hauptmaschine: 2 x 5.500 kW, Wärtsilä, Typ 16 V 32 BC (Originalzustand); Treibstoff-Verbrauch: ca. 30 t/Tag; Reisegeschwindigkeit: 17 Knoten (max.); Diesel-Generatoren: 3 x 2.140 kW, Wärtsilä, Typ 6 R 32D; Propeller: 2 (verstellbar), Durchmesser: 4,9 m; Bugstrahlruder: 860 kW, Brunvoll; Stabilisatoren: Denny Brown; Passagiere: max. 550; Besatzung (international) : ca. 270;
Hauptmaschine
MS Azores - Anlegestelle in der Hansestadt Bergen