Hochseefischer Welt
See-Episoden anderer Art
Fortsetzung Fortsetzung
Mit Dr. Peer Schmidt-Walther auf MS "Thetis D" unterwegs
Ostsee rechtsherum Logbuchnotizen einer spätsommerlichen Frachterreise August/September 2012 Auf dem Bahnsteig wimmelt es nur so von Menschen, nachdem der IC eingelaufen ist. Doch über allen stehen zwei, die ihren Passagier und seinen Rucksack schon längst erkannt haben: Kapitän und Taxifahrer. Auf der Treppe inszenieren sie eine Mini-La-Ola-Welle und strahlen: „Willkommen in Hamburg!“ Überwältigend, dieser Empfang! Reibungslos der „Check-in“ am Eurokai. Kapitän Pekka Stenvik, Finne mit Hamburg- Hintergrund, ist für den Wachmann ein alter Bekannter. Auch wir kennen uns schon von einer spektakulären Winterreise mit seiner schmucken THETIS D, mit der er 2011 elf Frachter aus Eisnot in der Rigaer Bucht befreite. Ein paar philippinische Seeleute stehen an der Gangway und begrüßen mich freudestrahlend mit „Welcome home, Sir!“ Und so fühle ich mich auch. Kaffeeduft liegt in der Luft. Gelegenheit für einen ersten Klönschnack in der Messe mit Chief Ingo Lange und Mitpassagier Klaus Schröder, ein ehemaliger Seemann. „Ich muss mal wieder Seeluft schnuppern nach so vielen Jahren“, bekennt der Wilhelmshavener. Und Ingo Lange indes wäre gern noch länger an Land geblieben, um weiter an seinem Haus in Torgau an der Elbe zu werkeln. Zwei Seemannsleben.
Begrüßung durch alte Bekannte an Deck
ehemaliger Matrose - Klausmit einem Besatzungsmitglied
Ständige Bereitschaft Überraschung auf Deck B. Meine Kabine hat eine unverbaubare 180-Grad-Sicht nach achtern. Dazu einen gemütlicher Wohnraum mit Tisch und Sitzecke, Kühlschrank, Satelliten-Fernseher, CD-Player, abgetrennter Schlafraum samt breitem Bett und Schrank, Duschbad mit WC. Was will man mehr? In dieser Mini-Suite kann man´s recht gut eine Weile aushalten.
Blick in eine Passagierkabine
Schlafraum in einer Passagierkabine
Um 18 Uhr soll an diesem Freitag laut Plan ausgelaufen werden, doch wie das so ist mit Plänen: Erstens kommt es anders… In der blitzsauberen Kombüse hantiert Smut Enrico Papio mit Töpfen und Pfannen. In die darf der Gast natürlich schauen und schnuppern. Shrimps stehen heute Abend auf dem Speiseplan. Lecker, lecker!
Smutje in der Kombüse
Das Mittagsessen sieht lecker aus
Was einem Passagier auf Kreuzfahrtschiffen nur selten vergönnt ist, gehört auf Frachtern zur Normalität: das tägliche Captains dinner. Mindestens zwei Mal pro Tag. Es geht, wie könnte es anders sein, immer wieder um Seefahrt. Klaus weiß Spannendes aus seiner frühen Fahrtszeit während der fünfziger Jahre zu erzählen. Immer hautnah dran am Geschehen, erfährt man auch, wie es weiter geht. Um 22.30 Uhr soll verholt werden. „Das machen wir in Hamburg drei und mehr Mal, um unsere Ladung von den verschiedenen Terminals zusammen zu holen“, sagt Kapitän Pekka, „anders ist das nicht machbar“. Das bedeutet ständige Bereitschaft und damit kaum Schlaf für die Crew. Rund um Skagen?
Sonnenuntergang. Vom Peildeck aus ein Rundblick über grell angestrahlte bunte Containergebirge und Schiffe hinüber zur Turmkulisse der Hansestadt. Hafenromantik anno 2012. Gegenüber, in den Villen an der Elbchaussee, gehen die Lichter an. Das Piepen der Containerbrücken i st ständige Nachtmusik für ihre Bewohner, denn auf den Kais wird rund um die Uhr gearbeitet. Mit der Flut laufen auch große, tiefgehende Schiffe ein. Vom 30 Meter hohen Peildeck aus bietet sich ein fantastisches Panorama. Nicht nur dem Shiplover. Das Drehmanöver des Containerriesen TIANJIN gerät, sozusagen aus der ersten Reihe, zu einem maritimen Schauspiel. Um 22.15 Uhr bringt ein Hafenschlepper den Lotsen, der über den Gummi-Wulst am Bug geschickt an Land springt. Jetzt ist auch THETIS D dran. Auf geht´s zum nächsten Liegeplatz. Die Reise ist kurz: nur 45 Minuten. Sofort packen die Containerkräne zu und THETIS D voll mit weiteren Blechkisten. Von oben herab schaut die HANJIN EUROPE zu. Angestrahlt von starken Scheinwerfern. Sie zählt mit über 14.000 TEU zu den größten Containerschiffen der Welt. Dagegen wirkt unsere THETIS D geradezu zierlich. „Wenn wir Glück haben“, spekuliert Kapitän Pekka Stenvik, „können wir morgen vor dem Mittagessen starten“. Ärgerliches Pech, dass die Nordschleuse in Brunsbüttel noch kaputt ist. „Könnte auch sein“, kalkuliert Pekka Plan B, „dass wir rund um Skagen laufen müssen, mal sehen“. 1078 Moves oder 8000 Tonnen Nachtruhe? Irgendwann lässt die anspringende Maschine den Frachter wieder erzittern: zum dritten Mal während der Liegezeit im Hamburger Hafen. „Ist schon nervig“, meint Pekka, und seine Philippinos lächeln nur, wie immer. Auf der anderen Seite: Wie soll man das Problem der Feederschiffe lösen, sich ihre Ladung an verschiedenen Terminals zusammen suchen zu müssen? Per LKW oder Bahn? „Viel zu aufwändig“, schüttelt Pekka den Kopf. Hamburg sei ohnehin der schnellste Hafen. Wozu man an der Elbe nur sechs Stunden braucht, ist zum Beispiel in Riga ein Akt von zwei Tagen. Irgendwann am frühen Morgen sind nach 1078 Containerbewegungen, sogenannte moves, 8000 Tonnen Ladung an und unter Deck verstaut. „Doch die Charterraten liegen 50 Prozent unter ihrem normalen Niveau“, lässt Reeder Mark Drevin aus Cuxhaven verlauten, „aber wir sehen einen Silberstreif am Horizont“. Am Samstag um sieben Uhr rüttelt der wieder zum Leben erwachte 11.200-kW-Diesel am Deckshaus. Von wegen noch mal genüsslich Umdrehen in der gemütlichen Koje! Das bedauert auch der Kapitän, der „fast aus dem Bett gefallen“ sei. „Aber das Gute ist“, strahlt der sportlich gestählte Mittvierziger, „dass du deine Tages-Passage durch den Nord-Ostsee-Kanal bekommst“.
Die philippinischen Matrosen unter Bootsmann Meliton Adame veranstalten derweil ein Großreinschiff, das sich gewaschen hat. Die Aufbauten und Decks triefen vor Nässe, bis wieder alles blitzblank ist und in feinem Hellgrau – im Gegensatz zum Himmel – erstrahlt. Kadet Catalin Zbirleci aus Rumänien braucht, weil zum Innendienst eingeteilt, kein Ölzeug fürs Treppenhaus. Und Kapitän Pekka ist sich – Vorbild! – nicht zu schade, zwischendurch mit einem Spezialstaubsaugen die Bildschirmkonsolen zu befreien, wie er sagt: „Denn manche Lotsen futtern zum Pott Kaffee gern auch Kekse“. Bis zur Brücke hinauf zieht ein ganz besonderer Duft, den der Koch in der Kombüse lüftet: ein leckerer Linsen-Eintopf mit Würstchen, „always on saturdays“. Im Wasserfahrstuhl Glück querab von Glückstadt: Die Sonne gewinnt Oberhand. Um 11.20 Uhr ist es mit dem Glück vorbei. Pekka muss ankern lassen, denn die Nordschleuse in Brunsbüttel ist nach wie vor dicht. Stau auf Reede und Straßen, wie ein Radiosprecher meldet. „Doch hier ist´s allemal gemütlicher“, findet Mitpassagier Klaus und studiert die übrigen Ankerlieger per Fernglas. Kapitän Pekka checkt über Funk die Lage: „Könnte 14 Uhr werden, bis wir losfahren“. Auch der Lotse macht erst mal Pause und vertieft sich in eine Autozeitschrift. Genügend Zeit für die köstliche Linsensuppe bleibt allemal, auch für ein Mittagsschläfchen. Überraschung, als schon um 13.30 Uhr der Anker aus dem Elbgrund rasselt und THETIS D bei strömendem Regen ihre Nase auf die Kanaleinfahrt zu dreht. Um 14.10 wird in der Schleuse festgemacht.
Passagier Klaus (l), Kanallotse, Kapitän auf der Brücke
gesperrte Nordschleuse
Seeleute nennen ihn ganz repektlos nur den „Graben“. Im offiziellen Sprachgebrauch bekannt als Nord-Ostsee- oder schlicht Kiel-Kanal, heißt er in Kurzform nur NOK. Festmacher, ehemalige Seeleute, nehmen die schweren Leinen in Empfang. Rund 30 Minuten dauert die Fahrt im „Wasserfahrstuhl“, bis der Nordsee-Pegel mit dem Kanalniveau übereinstimmt. Die Zeit nutzt der Vertreter des Schiffsmaklers, um den notwendigen „Papierkram“ mit dem Kapitän zu klarieren. Natürlich geht´s ums Geld: Eine Latte von Kanalbenutzungsgebühren ist dann fällig. So mancher Reeder kalkuliert genauer denn je seinen Kosten-Nutzen-Vorteil. Und das wirkt sich natürlich aus auf die Zahl der Passagen. Nicht so bei der THETIS D. Sie passiert fast wöchentlich den NOK. Das riesige Innentor zum Kanal öffnet sich. „Klar vorn und achtern!“ In das internationale Sammelsurium von Schiffen kommt Bewegung. Langsam formiert sich daraus zwischen den Ortsteilen von Brunsbüttel ein Konvoi mit Kurs Ost.
"Thetis D" füllt die Schleuse voll aus
Konvoifahrt
Zwischen Wikinger-Zeit und Hochsee-Autobahn Der Wunsch der Seefahrer, den oft sturmgepeitschten Weg um Dänemarks Nordspitze, das Kap Skagen, zu meiden, ist schon sehr alt. Darum reicht die Vorgeschichte des Kanals auch gut tausend Jahre zurück. In der Wikinger-Zeit wurde die Eider befahren. Mit zunehmenden Schiffsgrößen war auch das nicht mehr möglich. Bis 1784 der Schleswig-Holsteinische oder Alte-Eider-Kanal fertiggestellt wurde. Nach der Reichsgründung, als Kiel zum Marinestützpunkt der kaiserlichen Flotte avancierte, brauchte man eine schnelle und leistungsfähige Wasserverbindung für Kriegsschiffe zur Nordsee. Nach einer Reihe unterschiedlichster Trassenplanungen fiel die Entscheidung zugunsten der heutigen Linienführung. Von 1887 bis 1895 wurde die Cimbrische Halbinsel durchschnitten. Inzwischen ist der damals Kaiser-Wilhelm- Kanal getaufte Wasserweg 117 Jahre alt. Genau 98,7 Kilometer „Hochsee-Autobahn“ mit durchschnittlich elf Metern Tiefe liegen vor dem hochmodernen Frachter. Die Maschinen laufen jetzt nur mit langsamer Fahrt. 15 Kilometer pro Stunde sind das erlaubte Maximum, und „geblitzt“ wird auch hier schon manchmal aus dem Gebüsch. Auswaschungen durch Wellenschlag und andere Beschädigungen müssen vermieden werden. Die Uferböschungen verlieren jährlich pro laufenden Meter bis zu zehn Kubikmeter Boden. Wer soll das bezahlen? Das sind Kosten, die durch Gebühren allein nicht gedeckt werden können. Experten wollen allerdings wissen, dass es noch einen „Kostensenkungsspielraum“ gibt. Zumal die Zahl der Passagen ständig zunimmt und mehr Geld in die Kassen spült. Organisatorische Meisterleistung Gespart werden soll auch am Lotswesen. Neuordnungen sind in der Diskussion. Eins dürfe jedoch nicht passieren: dass Veränderungen zulasten von Sicherheit gehen. Die Lotsen müssen in dem engen Kanal-Schlauch mit größter Vor- und Umsicht navigieren. Dennoch kommt es vor, dass ein Schiff - an manchen Stellen genügen Kursabweichungen um nur ein bis zwei Meter - Grundberührung hat und festkommt. Erklärung: Durch Fahrt und Schraube wird Wasser unter dem Kiel weggesogen, es sackt auf den Grund, bleibt für einen Moment stehen, bricht aus und ist nicht steuerbar. Darauf könne man nur schnellstens mit entsprechenden Ruder- und Maschinenmanövern reagieren. Wenn ein Schiff aus dem Ruder läuft, sind, so haben genügend Fälle gezeigt, stunden- oder tagelange Wartezeiten Folge einer solchen unfreiwilligen Blockade. Abgesehen von einem Rattenschwanz an Verlusten. Die Verkehrslenkung hinter den Kulissen durch erfahrene Nautiker ist deshalb eine organisatorische Meisterleistung. Ein Schiff ist weder ein Auto noch ein Zug, die man ohne weiteres abbremsen kann. Zusätzlich erschwerend wirken Wind und Wetter wie Nebel, Eis oder Schneetreiben. Zu manchen Zeiten sind bis zu 250 Schiffe pro Tag im Kanal unterwegs. Im Kanalfunk zur Lage wird mehrmals von „hohem Verkehrsaufkommen“ gesprochen. Kein Wunder bei dem Schleusen-Engpass. Und: Eine solche Masse will koordiniert sein! Lotse und Steurer schimpfen, dass die Ausbaupläne des NOK nach wie vor ruhen. „Wir stehen vor einem GAU“, meinen beide. Bei Breiholz blinkt ein rot-weiß-rotes Lichtsignal. Voraus erweitert sich das bis dahin enge Fahrwasser. THETIS D muss wie schon zwei andere Schiffe in einer Ausweichstelle, kurz Weiche genannt, stoppen. Zwölf solche Stopper gibt es davon im NOK. Wer warten muss, bestimmt der PC-Lenker an Land nach Situation und Reglement. Die Schiffe werden je nach Länge, Breite, Tiefgang und Art der Ladung in sechs Verkehrsgruppen eingeteilt. Es dürfen, wo es eng wird, immer nur Schiffe aneinander vorbeifahren, deren Verkehrsgruppen zusammen sechs ergeben, erklärt der Lotse. Ansonsten ist auch die Quersumme acht erlaubt. Der „Gegenkommer" gehört schon der Gruppe sechs an, ist aber ein noch dickerer Brocken. Maximal dürfen 235 Meter Länge, 32,5 Meter Breite und 9,5 Meter Tiefgang nicht überschritten werden.
Schwanengeschwader von Backbord
Oldtimer-Segler von Vorn
"Thetis" in einer Weiche
Blick vom Steuerstand auf den Kanal
Seefahrt durch den Bauernhof THETIS D wird mit den anderen in die Weiche geschickt. Bis der langsame Konvoi durch ist. Von der 22 Meter über dem Wasser liegenden Brückennock schweift der Blick weit übers Land: Felder, Wiesen und Wälder. Die Männer auf der Brücke haben keine Zeit für Romantik. Frische Wiesendüfte ziehen in die Nase. Kühe blicken nicht mal mehr auf, wenn ein Dampfer vorbeirauscht. Hinter Büschen und Bäumen ducken sich blitzsaubere Gehöfte. Das ist Seefahrt durch den Bauernhof! 23.10 Uhr fest in der Schleuse Holtenau. Geschlagene neun Stunden hat die Reise über Land auf dem „Silberband“ zwischen den Meeren gedauert, normalerweise rund zwei Stunden weniger. Das ist wie Schleswig-Holstein mit einem „dicken Pott“ im Radfahrertempo. In der Kieler Förde liegt der Maschinentelegraf wieder „auf dem Tisch“ – mit voller Fahrt dem ersten Hafen Sankt Petersburg entgegen.
Mythos Ostsee fährt mit Sonntag, erster Seetag: Das Frühstück zwischen 07.30 und 08.00 Uhr fällt aus, denn Ausschlafen ist angesagt. Aber man kann sich auch später als zu den offiziellen Zeiten aus dem Kühlschrank und dem Kaffeeautomaten in der Messe versorgen. An Steuerbord die Sonneninsel Bornholm. Leuchtturm Hammeren und Burgruine Hammershus überragen die Granitrücken. Vor Gudjhem ankert der Fünf-Sterne-Plus-Kreuzfahrer EUROPA, mit dem ich jetzt nicht tauschen möchte. Aus der Kombüse duftet es wieder verlockend, denn in Smutjes Pfanne brutzeln Steaks. Kapitän Pekka spendiert dazu eine Flasche Rotwein. Die Zungen lockern sich, so dass schnell ein munterer Messe-Klönschnack mit Eis-Dessert in Gange kommt. Das gleichmäßige Grummeln des Diesels garantiert anschließend einen entspannten Mittagsschlaf. Bis zur Kaffeepause mit Kapitän und Chief im Fernsehraum. Da versorgt man sich mit den neuesten Nachrichten (auch in der Kabine möglich), über die diskutiert wird. Ein Satelliten-Receiver macht´s möglich. Auch das Gratis-Scypen der Besatzungsmitglieder mit ihren Lieben auf den fernen Philippinen. Als ich vor dem Abendessen aus der „Finnjark“-Sauna ins bordeigene Internet-Café komme, kann ich Frau und Kindern von Chiefcook Enrico Papio zuwinken und ihnen sagen, was für ein guter Koch ihr Mann und Papa sei. Worüber sich alle freuen, aber auch wundern, dass ich im „kalten Norden“ mit Badehose herumlaufe und dann noch E-Mails lese und schreibe. Auch das ein besonderer Service an Bord, „damit die Leute Sozialkontakt behalten und bei Laune bleiben“, erklärt Reeder-Kapitän Mark Drevin später. Bis zum Sonnenuntergang genieße ich die Stille in meiner Leseecke auf dem A-Deck an Steuerbordseite. Bei einem Buch und einer Buddel Bier. An Backbord läuft der 100 Kilometer lange Gotland-Küstenfilm ab, bis auch der von einem dramatisch wolkenden Mondhimmel abgelöst wird. Leuchtfeuer-Blitze erhellen die Nacht für Sekundenbruchteile. Im Fernsehen läuft – wie passend – der Film „Mythos Ostsee“, auch mit Bildern aus Stralsund, meinem Wohnsitz. Auf der Brücke hat jetzt Kapitän Pekka die Acht-Zwölf-Wache. Er nutzt die Zeit, um Abrechnungen zu machen und E-Mails zu verschicken. Aber auch für ein Gespräch über Gott und die Welt. „Das und mein Sport halten mich wach“, sagt er und ändert den Kurs an einem Wegpunkt, „jetzt geht´s nach Nordost auf die estnische Insel Saareema und den Finnischen Meerbusen zu“. Also rechts herum. Zwischen Erdbeben und Schiebewind Regenwolken deckeln am zweiten Seetag in Sichtweite der estnischen Küste den Finnischen Meerbusen. Zwar gibt es wie jeden Morgen eine fröhliche Begrüßung, wenn man an der Crew-Messe vorbeigeht, aber dann werden die Gesichter doch ernster: Ein Erdbeben habe ihre Heimatinseln im Pazifik erschüttert. Die Männer sind in Sorge um ihre Angehörigen, erfahren aber doch schnell – dank Internet -, dass sie wohlauf sind. Erleichterung macht sich breit. Westwind schiebt von achtern, so dass THETIS D leicht zu rollen anfängt. Ex-Matrose Klaus hätte gern mehr Schaukelei, „denn ich würde schon mal testen, ob ich noch seefest bin“. Das Wetter tut ihm den Gefallen nicht. Kapitän Pekka ist froh darüber, denn das spart Sprit. Mehr als 16 Knoten, die vom Charterer Unifeeder geforderte ökonomische Fahrtstufe, sind ohnehin nicht drin. Aber selbst die reicht noch, um die FINNHANSA einzuholen und abzuhängen. Typ-Schwesterschiff HEINRICH EHLER indes dreht hinter uns ab nach Nordosten mit Kurs auf Helsinki, dessen Türme den nördlichen Horizont kratzen wie die von Tallinn auf der Südseite. Voraus die schon russische Schäreninsel Ostrov Rodsher. Am felsigen Fuß ihres Leuchtturms rostet schräg ein im Winter gestrandeter Frachter vor sich hin. „Da sieht man mal wieder“, sagt Pekka nachdenklich, „welche Kraft das Eis haben kann“.
Ostrov-Rodsher, erste russische Insel im finnischen Meerbusen
Reederei-Neuigkeiten aus Cuxhaven erfährt man von ihm direkt auf der Brücke. Die Charterrate sei etwas gestiegen. Ein positives Signal, wie auch die Deutsche Schifffahrtszeitung THB auf ihrer Seite bestätigt. Wie ein Schwerverbrecher Vor Mitternacht. Ein Konvoi von hell erleuchteten Kreuzfahrtschiffen kommt entgegen. Da werden überall Partys gefeiert, wie man durchs Fernglas unschwer erkennen kann. Pekka ruft Petersburg traffic. Die Verkehrszentrale meldet, dass das Lotsenboot gegen 01.40 Uhr längsseits komme. „Da habe ich ja noch eine Stunde Ruhe“, übergibt er die Wache an den Zweiten Gholamali Bacalso und verabschiedet sich zu einem Kurznickerchen auf dem Sofa seines Salons. Bis zum Einlaufen und Festmachen in der Newa-Stadt muss er danach wieder auf der Brücke sein. Der Lotse hat ja nur beratende Funktion, während der Kapitän, wie man weiß, nach wie vor die volle Verantwortung für eine sichere Navigation trägt. Um 04.30 Uhr liegt das Schiff nach 881 Seemeilen ab Hamburg fest vertäut an der Pier und ich im Tiefschlaf. Pekka bleiben nur noch zwei Stunden Schlaf. „Dann bin ich wieder fit“, strahlt er trotz aller Anspannung. Nach dem Frühstück möchte ich mir bis zum Mittag die Beine vertreten, denn danach soll verholt werden. Da müssen alle an Bord sein. Mit Pass, Visum und orangeroter Sicherheitsweste bahne ich mir einen Weg durch die Container-Gebirge. Doch das Hafentor ist blockiert durch einen mindestens zwei Kilometer langen Tankgüterzug. Zwanzig wertvolle Minuten gehen verloren, bis ich mich dem Kontrolleur im maroden Wachhäuschen stellen kann. Mit einem freundlichen „dobry djien!“ natürlich, doch die Miene des Uniformierten bleibt finster. Sein Papierross-Kippen hängt schräg aus einem Mundwinkel. Man kommt sich vor wie ein Schwerverbrecher. Penibel wird alles per Hand in einer schmierigen Kladde registriert. Außer Russisch und kyrillischen Buchstaben versteht er anscheinend nichts, als ich ihm auf Englisch sage, wo auf der Passagierliste ich zu finden bin. Mit unmissverständlicher Geste bedeutet er mir schließlich: „Hau ab!“
Petersburger Hafen
Landgangs- und Verholerlebnisse Drei Kilometer zieht sich die Straße, die von Müll gesäumt ist. Kein erhellender Anblick! Bis rechts ein Trampelpfad abzweigt: über Fern- heizungsrohre, eine Brücke, unter der träge Kloake strudelt, auf einer pfützenübersäten Sandstraße entlang, an mannshohem Stacheldraht entlang, hinter dem sich eine trostlose Barackenansammlung mit Satellitenschüsseln duckt. Alles wird überragt von einer gewaltigen Mauer aus Plattenbauten. Auf einem riesigen Platz mit dem poetischen Namen „Fiona“ haben Billig-Händler ihre bunte China-Ware ausgebreitet. Dauertelefonierende Trainingsanzug-Männer mit Sonnenbrille und schrille Minirock-Blondinen dominieren die Kundschaft. Alles gut bewacht von russischer Miliz mit riesigen Tellermützen. Es wird Zeit für den Rückmarsch. Vorsichtshalber habe ich mir die Mobilnummer des Schiffes notiert. Aber Vorsicht, das Telefonieren von Russland aus ist teuer: 1,49 Euro pro Minute und 2,50 Euro für jeden Anruf. Dafür sollte man das Gratis-Internet an Bord nutzen. Für den nächsten Tag bietet die Deutsch sprechende Tatjana ihre Dienste als Stadtführerin an, empfohlen von Reeder und Kapitän. Am Gate noch einmal abweisende Muffigkeit. Die Sonne steht günstig für ein paar Schiffsfotos. „Nix Foto!“, höre ich plötzlich eine strenge weibliche Stimme hinter mir. Die uniformierte Dame will mich daran hindern, „mein“ Schiff abzulichten. Ich: „Nix verstehen!“ und mache unbeeindruckt weiter. Ein paar spitzelnde Hafenarbeiter müssen die Wächterin in ihrem Häuschen am Pierende informiert haben. Das Verholen verschiebt sich: von 13 auf 15 auf 16 Uhr. Hier ist eben alles anders als in Hamburg. Die Crew nutzt die Zeit zum Malen. Es duftet geradezu nach frischer Farbe. Zeit und Ruhe auch, um Chief Ingo Lange in seinem Maschinenreich einen Besuch abzustatten. Der führt nicht ohne Stolz durch den vor Sauberkeit glänzenden 15.227 Pferdestärken-„Keller“.
der Maschinen-Kontrollraum der "Thetis"
Hauptmaschine
Hinter dem hochmodernen Supereisbrecher SANKT PETERSBURG und seinem schon älteren Kollegen KAPITAN SOROKIN mit gewaltigem Hammersteven schiebt sich THETIS D an die nächste Pier. Gute Gelegenheit, die beiden PS-starken Kolosse näher zu betrachten. Der Lotse hinterlässt eine Keks-Krümelspur und strengen Schweißgeruch. Pekka saugt und lüftet die Brücke. „Offenbar hat ihm meine elegante Rückwärtsfahrt Angst eingejagt“, kommentiert er die „spezielle Duftnote“. Um 22 Uhr soll er zum Verholen wieder kommen. Pekka rümpft die Nase und ist sprungbereit in Warteposition. UdSSR lässt grüßen Stattdessen wird es drei Uhr früh – alles eben anders als in Hamburg. Bei der Kaffee-Pause (coffee time) kündigt Pekka an, dass das Laden nicht wie geplant um zehn, sondern erst um zwölf Uhr beendet sein könnte. Das zieht sich dann doch wieder bis 16 Uhr. Anruf von Pekka: „Komm doch bitte mal ins Schiffsbüro zur Pass- und Gesichtskontrolle!“ Drei Uniformierte und ein Zivilist, anscheinend ein Dolmetscher, blättern gelangweilt in Papieren. Dann bin ich dran. Aufmerksam werden Passfoto und Gesicht studiert, dann die Listen abgeglichen. Alles wortlos. Eine der beiden Damen ringt sich ein kurzes Lächeln ab – immerhin! – und gibt ihr Okay: freigegeben zur Ausreise.