Hochseefischer Welt
Fahrzeitberichte
Einführung in das Buch "Und dann kam der Sturm ..."
Auszug aus der Biografie von Rolf Jürgen Petzold
"Lebensabschnitt Ystadt"
Lehrzeit
Die Ausbildung zum Hochseefischer betrug 2 Jahre. In dieser Zeit wurde abwechselnd an Land, in der Berufsschule
oder dem Netzboden und auf den Kuttern gearbeitet. Die Lehrlinge, gemustert als Schiffsjungen, schliefen an Bord,
und die Besatzung kam aber erst zum Auslaufen an Bord. Die Besatzung bestand aus Kutterführer, Maschinist, Matrose
und 2-3 Schiffsjungen. Neben den Arbeiten für die Berufsausbildung an Bord, wie An- und Ablegen, Rudergänger,
Ausguck, Fischereigeschirr aussetzen und einholen, Fisch schlachten und im Laderaum lagern, Netze reparieren und
Decksarbeiten durchführen, waren die Schiffsjungen zusätzlich für die Sauberkeit, das Heizen, das Kochen und die
Abwäsche auf dem Kutter verantwortlich. Wir Schiffsjungen waren die Ersten bei der Arbeit und die Letzten bei der
Arbeit. Für das Kochen hatte ich kein gutes Händchen und wurde schon nach kurzer Zeit davon ausgeschlossen.
Das heißt nicht, dass ich dadurch weniger Arbeit und ein besseres Leben an Bord hatte, weit gefehlt. Dafür musste
ich bei Arbeiten der Sauberhaltung mehr ran. Das Kochverbot hatte folgende Ursache:
Ich bekam morgens den Auftrag, Erbsensuppe zu kochen. Die Erbsen hatte ich aber am Abend vorher nicht eingeweicht,
weil mir das auch niemand gesagt hatte. Das war mein Verhängnis. Morgens, vielleicht gegen 08:00 Uhr, setzte ich die
harten Erbsen im Wassertopf auf und brachte sie zum Kochen. Als nächstes schälte ich Kartoffeln. Eine Stunde später
gab ich das Suppenfleisch in die kochenden Erbsen. Zwei Stunden später, gegen 10:00 Uhr, probierte ich die Erbsen,
aber sie waren immer noch hart.
Der Kutterführer wollte um 12:00 Uhr das Netz hieven, und vorher sollte das Essen fertig sein. Um 11:30 Uhr, die Erbsen
waren noch nicht weich, schüttete ich die Kartoffeln dazu. Als die Kartoffeln weich wurden, quoll die Masse auf und ich
rührte und rührte. Als die Crew nun essen wollte, war aus der Erbsensuppe eine dicke Pampe geworden. Die Crew hat
diese Pampe widerwillig gegessen, der Matrose wurde vom Kutterführer abgekanzelt, weil er mir zu wenig geholfen
hatte und ich mit sofortiger Wirkung meines Amtes als Koch enthoben. Ich war nicht traurig. Die Art, dass man sich in
der Kutterflotte selbst verpflegen musste, war eine der wichtigsten Gründe für mich, 1956 zum Fischkombinat Rostock
zu wechseln. Auf jedem Schiff in Rostock war ein Koch gemustert.
Von unserer Lehrklasse ( 28 Lehrlinge) haben 11 Lehrlinge im Laufe der Ausbildung aus unterschiedlichen Gründen
die Seefahrt aufgegeben. Ich glaube, wir waren 4 Klassen mit 100 Lehrlingen, die 1952 in Saßnitz begonnen hatten.
Die Arbeit auf dem Kutter war sehr hart und nicht einfach. Wenn wir z.B. im Winter bei Gotland und Minusgraden
bis -12° C Dorsch fischten, versuchten wir beim Schlachten der eiskalten Fische unsere Hände im warmen Wasser
aufzuwärmen. Das warme Kühlwasser der Maschine fingen wir mit einer Pütz auf, um nach jedem geschlachtetem
Dorsch die Hände kurz reinzuhalten. Wenn ich nach Hause fuhr, das geschah dreimal im Jahr, war die Großmutter
immer sehr erschrocken, wie schlecht meine Hände aussahen. Sie bedauerte mich immer sehr.
Das Sprichwort, Lehrjahre sind keine Herrenjahre, war in dieser Zeit gängige Handhabung in der Ausbildung. An
erster Stelle standen unter anderem Disziplin, Ordnung und Gehorsam. Ich erinnere mich, dass ich bei Reinigungs-
arbeiten in der Kombüse beschäftigt war und der abgelöste Rudergänger, von der Brücke kommend, so nebenbei
sagte, das gerade ein Musikdampfer (Kreuzfahrtschiff) an uns vorbei fährt. Ich ließ den Handfeger und Schaufel
fallen und raste den Niedergang hoch an Deck. Hinter mir hörte ich noch den Matrosen laut rufen „Mach erst Deine
Arbeit zu Ende!!“. Wenn ich der Anweisung gefolgt wäre, hätte ich solch ein Schiff zur damaligen Zeit nicht so schnell
noch einmal sehen können. Ich kehrte also nicht um. Ein hell erleuchtetes Kreuzfahrtschiff zog dicht an uns vorbei,
und das war für mich ein einmaliges Erlebnis. Auf solch einem Schiff als Schiffsjunge zu fahren, musste ein Traum sein.
Nach 3 Minuten ging ich zurück in die Kombüse. Als ich dort ankam, musste ich für mein Verhalten büßen und erhielt
zwei Ohrfeigen und den ausdrücklichen Hinweis, dass Anweisungen einzuhalten sind. Wir bekamen in den 2 Jahren
der Berufsausbildung zum Hochseefischer eine fundierte Ausbildung auch in Fragen der Navigation und Seemannschaft.
Wir hatten gute Lehrmeister an Bord und an der Schule. Mit besonderem Interesse hatte ich alles in mir aufgenommen,
was sie uns zur Schiffsführung lehrten. Sicherlich waren dies nur die ersten Schritte, aber ich konnte einen Kurs
absetzen, konnte in der Seekarte arbeiten und kannte die Regeln für das Ausweichen der Schiffe untereinander.
Im Juli 1954 erhielt ich den Facharbeiterbrief.
Die1. Reise als Matrose wird meine Entwicklung ganz entscheidend beeinflussen.
Am 01. September 1954 musterte ich als Matrose auf SAS 181 „Kühlungsborn“ an. Als 2. Matrose kam Wolfgang Malek an Bord, der mit mir
ausgelernt hatte und auch 16 Jahre alt war. Wir hatten auch einen Maschinenassistenten an Bord, dessen Name ist mir entfallen. Nach dem
Auslaufen in Saßnitz dampfte unser Kutter in Richtung Arkona. Der Kutterführer steuerte den Fangplatz Kriegers Flak (Fanggrund zwischen
Rügen und Südschweden) an, und die Fischerei begann mit Aussetzen und Hieven, Schlachten und Verstauen, Wache und Mahlzeiten. Die
Fischkisten füllten sich mit Dorsch und Plattfischen, und ab und zu war auch mal ein Steinbutt dabei, den wir uns selbst brieten. In Ermanglung
an Margarine benutzten wir manchmal zum Braten das Öl der Dorschleber, auch als Lebertran bekannt. Nach 2 oder 3 Tagen sagte der Alte
morgens zu uns, dass wir kein Trinkwasser mehr hätten und der kürzeste Weg nicht nach Saßnitz, sondern nach Ystadt wäre. Da hatte er recht
und wir freuten uns, erstmalig nach Schweden zu kommen. Wir packten das Geschirr zusammen, zogen die Scherbretter rein, klarten das Deck
auf und der Alte ging auf Kurs zu dem südschwedischen Hafen Ystadt. Wir liefen am späten Vormittag in den kleinen Hafen ein und steuerten
die Pier an.
Ich legte vom Vorschiff zwei Festmacherleinen über den Poller, eine Vorleine und eine Vorspring. Achtern sicherte der andere Matrose den Kutter
mit einer Achterspring und Achterleine. Der Alte schaut aus dem Ruderhaus und als er sah, dass sein Kutter fest lag, stellte er den Motor ab.
Die Emigration und der Zoll klarierten das Schiff ein, nahmen die Musterrolle und die Seefahrtsbücher mit. Damit verhinderten die Behörden, dass
ein Schiff heimlich den Hafen verlässt. Nach der Einklarierung konnte der Assi mit Wasserbunkern beginnen. Auch die Wachen waren eingeteilt
und der Alte ging an Land. Wir vermuteten, dass er zum Makler geht. Ich nutzte die Zeit und habe mir das kleine Hafenstädtchen angesehen.
An einem Kiosk gab es Hotdogs und dort habe ich sowas erstmalig gegessen. Sowohl ein Kiosk, als auch Hotdogs kannte ich bisher nicht.
Woher ich die Kronen zum bezahlen hatte, fällt mir heute nicht mehr ein. Ystadt und der Kiosk war ein bleibendes Erlebnis für mich. 42 Jahre
später bin ich mit meiner Frau und meinen 3 Enkelinnen nochmal nach Ystadt gefahren und man wird es nicht glauben, der Kiosk stand noch
am Hafen. Dazu später noch mal-.
Gegen Mittag kommt ein großes amerikanisches Auto an den Kutter und unser Kapitän Paul Goldhammer und der Makler steigen aus.
An Bord erklärt uns der Kapitän, dass er in Schweden bleibt und nicht nach Saßnitz zurückkehrt wird. Er habe bei den schwedischen Behörden
auch für uns gesprochen und auch wir könnten in Schweden bleiben, wenn wir das wollten.
Wir waren zutiefst schockiert und auf eine derartige Situation nicht vorbereitet.
In der Ausbildung haben wir die Vorbildwirkung und Verantwortung eines Kapitäns für seine Besatzung gelernt. Jeder Kapitän ist verantwortlich
für Schiff, Ladung und Besatzung und bringt seine Besatzung heil und gesund wieder nach Hause. Aber auch der seemännische Brauch stand
für derartigen Haltungen.
Ich dachte, man kann doch nicht so einfach alles stehen und liegen lassen und abhauen. Was dachte sich der Alte überhaupt. Er lag hier mit
seiner Besatzung in einem fremden Hafen, wollte sein Schiff und die Besatzung verlassen.
Der Alte kam aus seiner Kajüte mit einem riesigen Seesack. Er hatte wohl seine Ausstieg im Voraus geplant. Wir sahen ihn nie wieder.
Für uns beiden Matrosen stand nach kurzer Zeit fest, wir fahren mit dem Kutter nach Hause. Wir gingen am späten Nachmittag zu den Hafen-
behörden und erklärten, dass wir zurück nach Saßnitz wollten und baten um die Herausgabe der Musterrolle und Seefahrtsbücher. Ohne
irgendwelche Gefahren- bzw. Verhaltenshinweise, geben die schwedischen Behörden zwei 16 jährigen Matrosen die Dokumente und die
Erlaubnis, den schwedischen Hafen mit den Kutter zu verlassen. Auf dem Kutter ist kein Offizier bzw. Patentträger.
Erst später ist mir die große Verantwortungslosigkeit und Verletzung von internationalen Gesetzen der schwedischen Behörden bewusst
geworden. Entgegen allen internationalen Regeln, haben sie die Erlaubnis zum Auslaufen eines Schiffes ohne einen Kapitän oder nautischen
Patentträger gegeben. Sie haben in Kauf genommen, dass zwei minderjährigen deutschen Matrosen sich mit einem Kutter in Lebensgefahr
begeben können. Nicht zu fassen.
Unsere Entscheidung war aber nur pure Abenteuerlust. Wir konnten unser erworbenes Wissen in der Ausbildung anwenden und sahen keine
Schwierigkeiten und Gefahren, den Kutter nach Saßnitz zu bringen. Jetzt sind wir die Kapitäne. Wir diskutierten die Reise nach Saßnitz,
befassten uns mit der Seekarte und hatten die Idee, erst nach Lübeck und dann nach Saßnitz zu fahren. Wie sollte das gehen? Wir haben,
wie man so schön sagt, gesponnen und die Aufregung nahm zu.
Zwischen uns Beiden hatten wir vereinbart, Ablegen und Auslaufen Ystadt obliegt meinen Kollegen, Einlaufen und Anlegen in Saßnitz ist mein
Part.
Für die Distanz von Ystadt bis Saßnitz braucht man mit 9 Knoten Geschwindigkeit je nach Wetterverhältnissen 7 – 8 Stunden. In der Seekarte
zeichneten wir den Kurs nach Saßnitz. Die Windstärke war 3-4 aus westlicher Richtung, also ideale Bedingungen. Nachdem wir den Hafen
verlassen und das Fahrwasser passiert hatten, gab der Matrose Voll Voraus. Die Maschine wurde von oben gefahren und mittels Bowdenzug
(Stahldraht) die Drehzahl der Maschine hochgefahren.
Nach etwa 2 Stunden wollten wir sehen, was der Kutter an Speed hergibt. Der Hebel wurde bis zum Anschlag gedrückt der Kutter machte
ordentlich Fahrt.
Durch nochmaliges Nachdrücken mittels Schraubenzieher wurde der Draht überdehnt und es knallte. Der Bowdenzug war gerissen, die
Maschine lief im Leerlauf. Da war unsere Wettfahrt zu Ende. Der Bowdenzug wurde repariert und danach fuhren wir vernünftiger.
Nach ca. 4 Stunden, die Sonne war eben untergegangen, hatten wir noch kein Land in Sicht. Mit einem Mal sahen wir an Steuerbord die
Leuchtfeuer von Arkona und Stubenkammer (Königsstuhl) relativ dicht am Horizont aufblitzen. Unser Kutter war viel zu weit östlich verdriftet.
Wir änderten den Kurs in westliche Richtung und hielten erst mal auf das Leuchtfeuer von Stubenkammer zu. Wieso waren wir soweit von der
Küste weg, obwohl wir ja in der Seekarte den Kurs richtig eingetragen hatten? Wir hatten auch den rechtweisenden Kartenkurs richtig mit
Missweisung und Deviation umgerechnet in den Kompass Kurs. In unserer Aufregung hatten wir den Kartenkurs gesteuert und hätten aber
den Kompass Kurs steuern müssen. Nach 22:OO Uhr kamen wir wohlbehalten in Saßnitz an und ich legte den Kutter am Anleger für Zoll und
Grenzpolizei (Emigration) an. Die Tatsache, dass der Kapitän in Ystadt geblieben war, nahm uns die Grenzpolizei nicht ab und machte uns Angst.
Die Bemerkungen der Grenzpolizisten
„Wir glauben Euch nicht, dass ihr in Ystadt gewesen seid. Ihr habt wohl gemeutert und den Kapitän außen Bords geschmissen. Ihr kommt nicht
von Schweden, sondern ihr kommt hinter schwedische Gardinen.“ jagten uns einen gehörigen Schreck ein.
Wir bereuten schon, nicht nach Lübeck gefahren zu sein.
Über 4 Stunden wurden wir an der Grenzbrücke festgehalten und durch Doppelposten mit Maschinenpistolen bewacht. So hatten wir uns den
Empfang für unsere Heldentat nicht vorgestellt.
Nachdem auf diplomatischen Kanälen die Bestätigung aus Schweden vorlag, dass der Kapitän von SAS 181 in Ystadt um Asyl gebeten hatte,
durften wir den Anleger der Emigration verlassen und den Kutter zur Löschhalle fahren.
Zu dieser Zeit war die Leitung des Fischkombinates nicht informiert worden, dass SAS 181 ohne Kapitän eingelaufen ist und der Kutter über
4 Stunden durch die Grenzpolizei festgehalten wurde. Die Grenzpolizei war Staat im Staate.
Wir haben den Fang an der Löschhalle gewogen und abgeliefert, das Deck sauber gemacht und den Kutter zum Liegeplatz gefahren.
Danach sind wir zur Hafenverwaltung, die Tag und Nacht mit einem Dispatcher besetzt war, gegangen und berichteten, was sich in Ystadt
zugetragen hat. Nach einer Zeit erhielten wir für unsere Tat 250,00 Mark Prämie. Man wollte uns sofort zur Seefahrtschule schicken, aber dafür
waren wir noch zu jung.
Im Frühjahr 1955 delegierte mich die Personalabteilung an die Fachschule für Fischwirtschaft in Rostock Marinehe. Das erste Semester war
Studium zum Meister der Hochseefischerei, das zweite Semester war Navigationsstudium mit dem Abschluss zum Steuermann für kleine
Hochseefischerei, Patent B2.
An der Fachschule in Rostock war die Personalabteilung des Fischkombinates Rostock an mich herangetreten und bot mir an, auf den Rostocker
Loggern und Trawlern zu fahren. Die Rostocker Bedingungen, dass alle Besatzungsmitglieder beim Einlaufen Geld erhalten und auf jedem Schiff
extra ein Koch gemustert ist, habe ich mit Interesse aufgenommen. Die Saßnitzer Bedingungen waren selbst kochen und das Geld wurde auf
ein Bankkonto überwiesen mit der Konsequenz, dass ich nach Einlaufen am Freitagnachmittag erst am Montag an Geld kam.
Also die Bedingungen in Rostock waren wesentlich angenehmer als die Saßnitzer
Als ich dieses Studium an der Fachschule abgeschlossen hatte, war ich 18 Jahre. Ich ging zurück nach Saßnitz und wurde nicht, wie ich erwartet
hatte, als Bestmann oder Netzmacher, sondern wieder als Matrose eingestellt. Ich hatte einen Meisterbrief und ein Zeugnis als Steuermann
(Kein Patent) in der Tasche und wurde weiter als Facharbeiter behandelt. So hatte ich mir meine Rückkehr nach Saßnitz nicht vorgestellt.
Als Steuermann kann man auf einem Schiff der DDR oder auch weltweit nur gemustert werden wenn man das erforderliche Patent hat und der
Patentinhaber mindestens 21 Jahre alt ist.
Ich sah in Saßnitz keine Perspektive mehr, kündigte und begann am 01.06.1956 im Fischkombinat Rostock meine Tätigkeit.
F.d.R.d.A.
Rolf Jürgen Petzold