Hochseefischer Welt
See-Episoden anderer Art
Schoner “Amazone” Schoner “Amazone”
Let´s CarGo! RoRo-familiär über die Ostsee –Geheimtipp unter „Königen der Landstraße“ Green ships. Gleich zwei davon hat die Reederei Scandlines: 155 Meter lang, 25 Meter breit und rund 47 Meter hoch. Die beiden Schwestern „Aurora“ und „Merchant“ fallen nicht nur dem Shiplover ins Auge.
Rolito Pinon steht am Kartentisch und rechnet. Der rundlich-freundliche Filipino schiebt Geodreiecke hin und her und trägt die Ergebnisse in die Seekarte ein. Seine Wache als Zweiter Offizier hat eben begonnen. Draußen zieht die Skyline von Warnemünde vorbei, und der alte Leuchtturm blinkt seinen grellweißen Gruß herüber. „Merchant“-Kapitän Jürgen Weber sieht angestrengt in die Dunkelheit. Er braucht keinen Lotsen, da er selbst das entsprechende Patent hat, genau wie sein Kollege Moritz Gabriel von der „Aurora“. Sicher und souverän manövriert er die Warnow abwärts. Chief Mate Christoph Osmanski assistiert ihm dabei als Wachoffizier, die Nautik-Studenten Stefanie Fischer und Markus Wiesener schauen ihnen dabei wissbegierig über die Schulter. Christoph hat bis zum Auslaufen um 22.30 Uhr die Beladung des RoRo-Frachters mit Trailern und LKWs überwacht. Bis Mitternacht geht er danach noch Wache, „danach gibt´s nur noch Schlaf“, lächelt der schlanke, baumlange Seemann. Finnische Standards Rolito hat keinen schlechten Job. Zwar kann er wegen der weiten Heimreise nicht alle vierzehn Tage zwischen Arbeit und Urlaub wechseln wie seine deutschen Kollegen. Aber seine Kinder im Teenager-Alter können sich daheim mit Papas Einkommen manches leisten: eine gute Schulausbildung in der Woche, Badefreuden, Kino und anderen Luxus am Wochenende. Einen schlechten Job hat hier an Bord niemand. Der RoRo-Frachter mit seinen großen Kabinen wurde nach finnischen Sozialstandards der achtziger Jahre gebaut. Das bedeutet, dass vom Swimmingpool über Sauna, Kraftraum und Tischtennisplatte bis zu Aufenthaltsraum mit Selbstbedienungs-Bar (ein Bier für 25 Cent!), Satelliten-Fernsehen auf der Kammer alles vorhanden ist, um die Freizeit zu gestalten. Internet-Flatrate, gute Verpflegung und eine Krankenstation für den Notfall machen den Mikrokosmos perfekt, in dem die Seeleute leben. Aus dem Nähkästchen Besuch haben sie selten. „Aurora“ und „Merchant“ sind reine Frachtfähren. Gerade mal zwölf Gäste finden Platz. Meistens sind es Brummi-Fahrer, wenn die Trailer nicht ohne Zugmaschine an Bord geschoben werden. Für die Männer gibt es eine eigene Messe mit Getränke-Angebot und Geldspielgeräten. Petra Moritz und Karl-Heinz Lux arbeiten in der „Merchant“-Kombüse und zaubern täglich drei Mahlzeiten plus Nachmittagskaffee mit Kuchen. Frische Brötchen gehören ebenso zum täglichen Angebot wie eine üppige Salatbar. Der Speiseplan reicht von Hausmannskost bis zum Filetsteak am Sonntag. Wer gut versorgt wird, arbeitet gut – die Rechnung scheint aufzugehen. „Wir kennen uns schon lange, sind eine eingeschworene Stamm-Mannschaft“, erzählen die Offiziere, wenn man sie bittet, aus dem Nähkästchen zu plaudern. Und so ziehen sie nach dem Abendbrot in familiärer Eintracht vor den großen Flachbildschirm. Das Fernsehgeschehen ist weniger Programm als Anregung zur Diskussion – „socializing at its best“. Selbst Kapitän Jürgen, „master next god“, wird über alle Rangunterschiede hinweg beim Vornamen angesprochen. Damit werden Kommunikationsängste abgebaut. Auf so einer „Heimatroute“ lässt sich das viel besungene Seemannslos gut ertragen. Außerdem wissen die Mitarbeiter hier an Bord, wie wichtig ihr Einsatz für die Warenwirtschaft des Ostseeraums ist. Kein Wunder, dass der Seehafen Rostock boomt. Rollende Ladung nimmt zu Finnland hat sich mittlerweile zum zweitgrößten Markt für rollende Ladung (RoRo) gemausert. Scandlines erkannte die Entwicklung und handelte. Bis zu 2170 Lademeter oder 130 Trailer inklusive zwölf Trucks pro Überfahrt bieten die eisverstärkten 21.195-Tonner, die im Winter auch mit der Eisdecke der Ostsee fertig werden – ohne Fahrplanprobleme, „das ist einer unserer Vorteile“, erklärt Jürgen. Sechs Doppelkabinen stehen für Fahrer und Gäste zur Verfügung. An manchen Türen prangen Sticker mit dem auffälligen Slogan der Scandlines-Frachtabteilung: „Let´s CarGo!“ Zu Deutsch etwa: „Lasst die Fracht rollen!“ Dafür sorgen auch Erster Offizier Christoph, kurz Chief Mate genannt, und Bootsmann Hans-Dieter Moritz. Sie dirigieren die Brummis in den gewaltigen Laderaum. Über zwei LKW-Fahrstühle sogar ein Deck höher. Auf dem nach achtern offenen Wetterdeck umweht die Trailer frische Ostseeluft. Sonnenauf- und -untergang manchmal inklusive – als „Göttin der Morgenröte“ ist die „Aurora“ dafür zuständig. Zumindest bei den alten Römersleuten war sie es mal.. Komfort großgeschrieben „Wir sind kein RoRo-Fähre, sondern ein Frachter!“, betont nicht ohne Stolz „Aurora“-Kapitän Moritz Gabriel, an Bord kurz und freundlich „Gabi“ genannt, „denn wir transportieren ausschließlich Ladung.“ Dennoch können sich die Fernfahrer wie auf einer Passagier-Fähre fühlen, allerdings ohne Massenbetrieb. Die Scandlines-Finnland-Fahrer-Familie ist klein: je 18 Mann in zwei Schichten plus zwei nautische Praktikanten und zwei Azubis. Auf Wunsch zeigen die beiden Kapitäne während eines Rundgangs „ihren“ Dampfer, auch den Truckern. Die Brücke steht Besuchern offen. DieBrücke ist jederzeit für Besucher offen „Merchant“-Chief Andreas Starck lässt es sich nicht nehmen, durch den „Keller“ zu führen. Zwei 6600 kW-Diesel bringen das Schiff in Fahrt: auf 16 Knoten. In 24 Stunden werden so rund 40 Tonnen – 1,7 pro Stunde - Schweröl verbraucht. Das ist rund siebeneinhalb Mal weniger, als wenn die Trailer mit 500 PS-Zugmaschinen über Land donnern würden. „From road to sea!“, lautet denn auch das Motto von Scandlines, um Straßen und Umwelt zu entlasten.
Chief in seinem Kommando-Bereich
Komfortable Ruhepause „Das hält man schon mal zwei Tage während einer Überfahrt aus“, lacht ein estnischer Fahrer und streichelt seinen respektables Bäuchlein: „Die verwöhnen uns hier nach allen Regeln der Küchenkunst“. „Das Essen ist ein nicht unwesentlicher Wohlfühl-Faktor, betonen Petra/“Peggy“ und Karl-Heinz/“Kalle“strahlen mit der blitzblanken Küche um die Wette. Hanno ist ein typischer finnischer Trucker: blond, rundlich, gemütlich, freundlich. Der 57-Jährige spendiert eine Büchse Bier und erzählt Geschichten aus dem Leben als Kilometer-Millionär. Der Vorteil gegenüber dem Bordleben: „Trotz 140.000 Kilometern auf Achse pro Jahr bin ich doch ein bisschen öfter zu Hause als früher in weltweiter Fahrt“. Mit seinem Scania-42-Tonner ist der ehemalige Seemann unterwegs mit einem Blockhaus-Bausatz von Oulu in Nordfinnland nach Bordeaux in Frankreich und zurück „Nach einer Woche und 7000 Kilometern geht´s wieder mit einem der beiden Dampfer nach Hause“, freut er sich, die komfortable Bord-Ruhepause nach und vor dem Fahrstress genießt. Das Schiff sei zwar schon rund 30 Jahre alt, „aber es ist sehr gut gepflegt und bietet einiges. Außerdem sind wir hier unter uns!“ Noch so etwas wie ein Geheimtipp unter den „Königen der Landstraße“. PSW
Im Hafen von Hanko-PKW zum verladen bereit
Info: Schiffsdaten MS „Aurora“; gebaut 1981/82 bei Rauma-Repola Oy, Finnland (Taufname: ARCTURUS); BRZ: 20.381, tdw: 13.030; Schiffsgewicht (light ship): 8192 t; Länge: 155 m, Breite: 25,12 m, Tiefgang (max.): 8,46 m; Hauptmaschinen: 2 x 6600 kW Pielstick Zwölf-Zylinder-V-Motoren; Geschwindigkeit (max.): 17 kn; Lademeter: 2170 m; 12-Meter-Trailer-Kapazität: 130; Container: 608 TEU + 146 leere TEU auf dem Shelter-Deck; 2 Lifte: 60 bzw. 70 t; Besatzung: 18 (Minimum: 15), LKW-Fahrer: 12 (Unterbringung in Doppelkabinen); Reederei: Scandlines Deutschland GmbH, Rostock; Flagge: deutsch, Heimathafen: Rostock; Klassifikation: LR 100A1, Ice Class 1AS (Finnish/Swedish), LMC UMS; Schwesterschiff: MS „Merchant“ (gebaut als „Finnmerchant“ 1982/83); Abmessungen wie „Aurora“; Hauptmaschinen: 2 x Sulzer 12ZV40/48; Geschwindigkeit (max.): 18 kn; Abfahrten mit zwei Schiffen. Montags, mittwochs, donnerstags und samstags ab Rostock 22 Uhr, ab Hanko montags, dienstags, donnerstags und samstags 15 Uhr. Kürzeste Finnland-Route von Rostock nach Hanko und zurück. 516 Seemeilen in 32 Stunden.